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130 Jahre Sächsisches Krankenhaus - 60 Jahre Rodewischer Thesen
2023 ist ein besonderes Jahr für das Sächsische Krankenhaus Rodewisch: Das Landeskrankenhaus mit den Schwerpunkten Psychiatrie und Neurologie begeht sein 130jähriges Jubiläum und zeitgleich den 60. Jahrestag der psychiatriehistorisch wichtigen „Rodewischer Thesen“.
Am 25. Juli 1893 wurde die Klinik nach nur knapp drei Jahren Bauzeit als „Königlich Sächsische Landes-Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke zu Untergöltzsch“ eröffnet. Zur damaligen Zeit gab es bereits größere Landesanstalten, wie Sonnenstein oder Hubertusburg, für den Südwesten des Landes gab es jedoch eine Versorgungslücke. Die Anstalt wurde ursprünglich für 400 Patientinnen und Patienten aus dem Vogtland und Erzgebirge errichtet und entsprach in Baustil, Konzeption und Therapieverfahren den damalig modernsten Erkenntnissen. Die Anstalt setzte schon damals darauf, mit humanen Therapien zu heilen und die Würde der Kranken zu achten. Sie verfügte über eine vorbildliche Milieu- und Soziotherapie. Des Weiteren bestand eine extramurale Arbeitstherapie: Die Patientinnen und Patienten arbeiteten auf den Feldern oder hielten das Krankenhaus anderweitig am Laufen. Frauen und Männer wurden getrennt und nach Schweregrad der Erkrankung – als „ruhig“, „halbruhig“ oder „unruhig“ - therapiert. Weiterhin wurden die Kranken – je nach sozialem Status – in unterschiedliche Verpflegklassen eingeteilt. Die fortschrittliche Anstalt erwarb sich im In- und Ausland einen guten Ruf. Zu den bekanntesten Besuchern gehörten König Friedrich August von Sachsen am 2. Juli 1908 und Robert Koch. Innerhalb kürzester Zeit war die Anstalt überbelegt und musste erweitert werden.
Im Ersten Weltkrieg wurde das Haus geräumt und bis 1920 als Reservelazarett beansprucht. Mit der faschistischen Diktatur kam es in allen Landesanstalten zu Einschränkungen bei der Behandlung psychisch kranker Menschen. Auch in der Untergöltzscher Anstalt wurden Patientinnen und Patienten zwangssterilisiert. Im Rahmen der „Aktion T4“ wurden hunderte Menschen in die NS-Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein deportiert und ermordet. Gegen Ende des Krieges trug das Krankenhaus nur noch den Charakter einer Verwahranstalt.
Nach Kriegsende wurde erneut mit dem Wiederaufbau der Anstalt begonnen. Mitte der 1950er Jahre waren über 1500 Betten belegt, obwohl die Kapazität nur für 600 ausreichte. Die große Wende brachte der Ärztliche Direktor Dr. Rolf Walther, der ab 1955 das Haus leitete. Er setzte tiefgreifende Veränderungen in der Krankenhausstruktur um: Stationen wurden zunehmend wieder offener geführt, wohnlich eingerichtet, Gitter entfernt sowie neue Therapieformen etabliert. Dabei spielte auch die Einführung der Psychopharmakotherapie eine große Rolle. Die fortschrittlichen Bestrebungen Dr. Walthers wurden im In- und Ausland wahrgenommen und führten dazu, dass Rodewisch 1963 als Tagungsort für ein internationales psychiatrisches Symposium ausgewählt wurde. Am Endes des Symposiums wurden die psychiatriehistorisch bedeutsamen „Rodewischer Thesen“ verabschiedet, die sich 2023 zum 60. Mal jähren. Die Grundzüge waren die Forderung der Abschaffung der so genannten „Verwahrpsychiatrie“, die soziale Integration der Kranken und der Aufbau ambulanter und teilstationärer Dienste. Im Mittelpunkt stand jedoch die Rehabilitation psychisch akut und chronisch Kranker. Mit diesen Thesen wurden wichtige Impulse für die Psychiatriereformen in Ost und West benannt. Erstmals wurden hier die zentralen Gedanken der deutschen Psychiatriedebatte formuliert, die auch die Entwicklung der Sozialpsychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland beeinflussten. Die Rodewischer Thesen gaben die konzeptionelle Basis für eine moderne Psychiatrie, eine umfangreiche Reform blieb jedoch aus. Dennoch führten die Thesen zu kleinen Teilerfolgen in der ehemaligen DDR: In vielen psychiatrischen Einrichtungen, nicht nur in Rodewisch, wurden die Gitter von den Fenstern entfernt, Stationen zunehmend offen geführt und Rehabilitationsprogramme auf den Weg gebracht. In der Amtszeit von Dr. Walther entstanden zudem die kinder- und jugendpsychiatrische sowie die neurologische Klinik.
Nach der Wende wurde das Krankenhaus in die Trägerschaft des Freistaates Sachsen, heute vertreten durch das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, übernommen. In dieser Zeit des Umbruchs wurde in Sachsen mit der Reformierung der psychiatrischen Versorgung begonnen – das Großkrankenhaus wandelte sich zum modernen Fachkrankenhaus. Die zum Teil langjährigen Patientinnen und Patienten wurden dabei enthospitalisiert und in Heimen untergebracht. Mitte der 1990er Jahre wurde der Maßregelvollzug mit Eröffnung der Forensischen Klinik etabliert.
Seit der Wende hat der Freistaat Sachsen mehr als 138 Mio. Euro in das Sächsische Krankenhaus Rodewisch investiert. Die Sächsische Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, Petra Köpping, sagt dazu: „Das Sächsische Krankenhaus Rodewisch hat in den 130 Jahren seines Bestehens eine eindrucksvolle Entwicklung vollzogen. Es übernimmt als einer der größten Arbeitgeber des Vogtlands mit über 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die umfassende psychiatrische und neurologische Versorgung der Bevölkerung in Südwestsachsen. Zu einer weiteren Verbesserung der psychiatrischen Versorgung trägt künftig der Neubau das Gebäudes B22, welcher am 18. Oktober 2023 feierlich übergeben wurde, bei. Mein besonderer Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sächsischen Krankenhauses Rodewisch für ihre Leistungen zum Wohl der anvertrauten Patientinnen und Patienten und für ihre hohe Einsatzbereitschaft zur Sicherung der Versorgung.“
Am 27.10.2023 findet eine offizielle Festveranstaltung im Beisein der Sächsischen Staatsministerin statt. Festvorträge werden gehalten von Prof. Dr. med. Ekkehardt Kumbier zum Thema „Rodewischer Thesen“ und PD Dr. med. Sven Speerforck, der über das Stigma psychiatrischer Erkrankungen referieren wird.
mr
23.10.2023