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Eltern tragen eine schwere Last
Angehörige von psychisch kranken Straftätern treffen sich regelmäßig in Rodewisch. Sich auszutauschen, bringt Entlastung.
Es ist schlimm genug, wenn einem das eigene Kind wegen einer psychischen Erkrankung fremd wird. Weit schlimmer und kaum mit Worten zu beschreiben, ist es, "wenn etwas passiert", wenn der Sohn straffällig wird. Das ist die Erfahrung, die Männer und Frauen teilen, die sich einmal im Monat in Rodewisch als Angehörigengruppe treffen. Ihre Söhne sind Patienten im Maßregelvollzug, zwischen Mitte 20 und Ende 40.
"Vorher sieht man nur das Elend, hier bekommt man neue Hoffnung", sagt eine der Mütter. Das "Vorher" liegt für ihren Sohn sechseinhalb Jahre zurück. "Zunächst war er nur leicht verwirrt, dann hat er Dinge gesehen und gehört, die gar nicht da waren und mit mir fremden Stimmen gesprochen", erzählt die Mutter. Als sich schließlich die von ihm ausgehenden Gewalttätigkeiten in der Familie und darüber hinaus häuften, sah sich die Mutter gezwungen, Hilfe zu suchen. "Polizei, Gericht, Gesundheitsamt - wir waren überall." Der junge Mann ging freiwillig in ein psychiatrisches Krankenhaus. Zwei Stunden später stand er allerdings wieder vor der Tür seiner Eltern. "Es ging so weit, dass ich ihn aus der Wohnung rausgeklagt habe." Sie hörte wieder von ihm, als "es passiert war": Er war in einen Streit verwickelt und stach mit einem Messer zu. "Ich hätte mir die Behandlung, die er jetzt in Rodewisch bekommt, einige Jahre früher gewünscht", sagt die Mutter.
Der Vater eines anderen Patienten sagt, dass man sich "draußen" allein gelassen gefühlt habe mit der Erkrankung des Kindes. Es habe immer die Antwort gegeben, dass erst etwas passieren müsse, bevor man von Amts wegen tätig werden darf. "Die meisten können mit einer psychischen Erkrankung nichts anfangen, wollen sich davon fernhalten, nichts damit zu tun haben", ergänzt seine Frau.
Es gibt gesetzliche Grundlagen, jemanden auch gegen seinen Willen im Maßregelvollzug unterzubringen. Aber: "Wir dürfen nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten von diesem Jahr niemand gegen seinen Willen therapieren, wir müssen mehr reden, mehr verhandeln", sagt Sylvia Beyerlein, Chefärztin der Forensischen Klinik. Dafür sieht sie die Eltern auch als Partner. Dass es die Angehörigengruppe seit Januar 2012 am Rodewischer Krankenhaus gibt, geht darauf zurück, dass die Zahl der Patienten - schizophrene Männer -, deren Eltern sich um sie kümmern, zugenommen hat.
"Die Eltern haben Gesprächsbedarf und wollen Aufklärung", sagt Sylvia Beyerlein. Bei den monatlich stattfindenden Treffen geht es um allgemeine Fragen wie Krankheitsbilder, Gesetzmäßigkeiten, Lockerungsstufen oder das Betreuungsrecht. Sie bieten aber auch die Möglichkeit, einmal das Herz auszuschütten und sich mit anderen auszutauschen. "Die Eltern tragen eine ganz große Last", weiß die Chefärztin. Zu wissen, dass es anderen genauso oder ähnlich ergangen ist, stelle eine Entlastung dar. Begonnen hat die Angehörigengruppe mit drei Elternpaaren, mittlerweile sind es sieben. Das entspricht noch lange nicht der Zahl der Patienten, die im Maßregelvollzug Rodewisch untergebracht sind, denn es gibt Angehörige, die mit ihren kranken, straffällig gewordenen Familienmitgliedern nichts zu tun haben wollen. Für die Mutter, deren Sohn jetzt sechseinhalb Jahre in Rodewisch untergebracht ist, kam das nicht infrage. "Ich wollte den Kontakt von Anfang an, nur er hat ihn abgelehnt, weil er sauer auf mich war. Ich habe ihm gesagt, ich warte, bis du dich meldest. Jetzt komme ich alle 14 Tage." Ihr Sohn sei mit Medikamenten richtig eingestellt, gehe zur Arbeitstherapie und treibe Sport. "Wenn ich komme, dann können wir miteinander reden und miteinander lachen. Da ist mein Kind wieder, nicht der fremde Andere."
Heike Mann
Freie Presse, 7.10.2013
08.10.2013